Leserbrief von Dr. Claudia Ludwig zur Greensill-Reihe der Schwalbacher Zeitung

Schwalbach, 7.11.2022
Leserbrief zur Greensill-Reihe der „Schwalbacher Zeitung“

Liebe Leserinnen und Leser der Schwalbacher Zeitung,

seit Mitte September hat die Schwalbacher Zeitung nun in acht Folgen die „Greensill“-Geldanlage aufgearbeitet. Mit einem etwas reißerischen Logo zwar, aber auch mit viel Fleißarbeit und Recherche und dem redlichen Bemühen, den wirklich extrem komplizierten Vorgang möglichst nachvollziehbar darzustellen. Dass bei solch einer umfangreichen Serie die Sachlichkeit an der einen oder anderen Stelle ein wenig verloren geht, ist verzeihbar. Auch dass sich Mathias Schlosser dem für den Bürgermeister sehr unangenehmen Thema so schonungslos wie langanhaltend annimmt, ist völlig in Ordnung. Das ist sein Job. Und 19 verlorene Millionen Steuergelder sind ja auch wahrlich kein Pappenstiel.

Doch kaum jemand bedauert den schlimmstenfalls kompletten Verlust mehr als der Rathauschef selbst, ist es doch schließlich sein Etat, der nun schmerzlich fehlt und ihm die finanziellen Gestaltungsmöglichkeiten nimmt. Und genau wie der Akteneinsichtsausschuss, dem ich selbst angehörte, als auch der Revisionsbericht des MTK, so kann auch die Serie dem Bürgermeister keine böse Absicht nachweisen. Ebenso wenig finden sich Fakten, die eindeutig beweisen, dass die Initiative zur fatalen Fehlanlage von seiner Person ausging. Darum warten Alexander Immisch und die Schwalbacher SPD auch so dringend auf die Ergebnisse der Untersuchungen der Frankfurter Staatsanwaltschaft. Sie werden den Bürgermeister entlasten.

Er trägt nicht die Schuld an dem „Desaster“, aber – natürlich – die Verantwortung. So wie jeder Verwaltungschef nun einmal für alles verantwortlich ist, was unter seinem Rathausdach passiert. Die „Schuld“ des Bürgermeisters, wenn man denn von einer solchen sprechen möchte, lag nach meiner Einschätzung schlichtweg darin, dass er seinen Mitarbeiterinnen zu sehr vertraute. Er verließ sich auf einen – aus seiner Sicht – eingespielten Vorgang, und er verließ sich auf sein Team. Ein fataler Fehler.

So etwas wird in Zukunft nicht mehr passieren. Es wird nicht mehr passieren können. Wir sind der Hofheimer Revision dankbar für ihren Bericht und ihr Fazit. Die zu Recht beanstandeten Abläufe rund um die Geldanlagen werden so nicht mehr stattfinden. Der Bürgermeister, die Finanzabteilung, Magistrat und Stadtverordnete haben aus der Katastrophe gelernt. Die Abläufe wurden geändert. Und das ist entscheidend.

Die Medien werden bei uns gerne als „die vierte Gewalt“ im Staat bezeichnet. Zu Recht. In einer Demokratie ist es unverzichtbar, dass es sie gibt – und dass sie durchaus den Finger in die Wunde legen. Niemand möchte eine Hofberichterstattung. Aber einen fairen Umgang, den kann man von der Presse schon erwarten. Große Teile der „Greensill“-Serie sind so weit in Ordnung und, wie gesagt, aufwändig und gründlich recherchiert.

In Folge 4 gerät dann aber doch einiges durcheinander: So ist Alexander Immisch keineswegs mit der Kassenleiterin per du. Das stimmt einfach nicht und ist schlecht recherchiert. Und ein zugegebenermaßen „lockerer Ton“ ist vielleicht „befremdlich“, aber doch kein Beweis für illegale Machenschaften. Auch der neue Intendant des Hessischen Rundfunks war sofort mit vielen Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern per du, genau wie seine Programmdirektorin. Und trotzdem haben die beiden ihren Laden im Griff.

Was mich als langjährige und erfahrene Journalistin allerdings an der Serie wirklich verstört, ist der Schluss. Eine Zeitung muss schonungslos und kritisch berichten. Sie kann auch meinungsbildend sein sowie Vorgänge und Nachrichten kommentieren. Aber eine Berichtsreihe mit einer Petition zu beenden, ist ihre Aufgabe nicht. Hier wird der direkte Zugang zur Öffentlichkeit missbraucht. Ein dezidierter Aufruf zu einer Abwahl hat an dieser Stelle nichts zu suchen und ist unseriös. Dafür gibt es andere Foren und Möglichkeiten.

Dr. Claudia Ludwig, Journalistin und Fernsehredakteurin
Stellv. Fraktionsvorsitzende der SPD Schwalbach